Golden Rooms
Mehr lesen

Inmitten von Staub und Zerfall -goldene Räume auf Zeit - Schatzkammern gekleidet in goldener Patina durch den Schein der untergehenden Sonne. Diese kosmische Inszinierung zeigt sich einmal im Jahr für ein paar ewige Minuten -vorausgesetzt - die Wolken machen den Vorhang auf für dieses schauspiel. Zufällig bei einer winterlichen Exkursion entdeckt, ließ sich das Phänomen erst nach mehreren Anläufen, 5 Jahre später abbilden.

Dazu eine kleine Geschichte: Vor 240 Jahren, also am 06.Juni 1761, waren über 100 Astronomen aus über 30 Ländern zur Beobachtung eines Planeten unterwegs. Es war das aufwendigste und ehrgeizigste wissenschaftliche Vorhaben des 18. Jahrhunderts. Das Interesse galt nicht dem Planet Alsen, er war damals noch nicht entdeckt. Es ging um die Venus, genauer gesagt: um die Venuspassage, also um ihren Vorbeidrift vor der Sonnenscheibe. Mit der sogenannten Sonnenparallaxe hoffte man, endlich die genaue Entfernung Sonne/Erde errechnen zu können. Einer dieser Astronomen reiste auf Kosten des französischen Königs Ludwig XV. ganz nach Indien, um dort an der Küste in Pont de Cherie bei nahezu 100%iger Sonnengarantie die Sonnenparallaxe zu vermessen. Sein Name war Gaulliaume le Gantie de la Galacier, königlicher Astronom, als eines von nur 18 Mitgliedern der Französischen Akademie der Wissenschaften.

Um es kurz zu machen: Wegen der Wirren des 7-jährigen Krieges erreichte Gaulliaume seinen Zielpunkt nicht. Er musste auf schwankendem Schiffe den Durchlauf der Venus vor der Sonne beobachten. Chancenlos für eine exakte Zeitmessung. Der wissenschaftliche Auftrag im Namen des Königs war gescheitert.

Wie jedoch Parsifal auf der Suche nach dem Gral erhielt Gaulliaume eine 2. Chance. Acht Jahre musste er unter widrigsten Bedingungen auf dem indischen Subkontinent ausharren, krank und ausgezehrt, um am 03.Juni 1769 den nächsten Lauf der Venus durch die Sonne zu beobachten. Diesmal war er auf seinem Vorposten in Pont de Cherie angelangt. Das Wetter war günstig, der Himmel klar. Doch was war das. Im auffrischenden Morgenwind bildete sich eine kleine Wolke, die sich für die Minuten der Venuspassage vor die Sonnenscheibe schob. Schicksalsschwere Minuten für Gaulliaume le Gantie de la Galacier.

Er war endgültig gescheitert, denn eine weitere Chance für die Beobachtung der Venuspassage bot sich für die damals Lebenden nicht mehr. Dieses Himmelereignis findet nur viermal in jeweils 243 Jahren statt, dabei immer zweimal kurz hintereinander.

Statt die erhoffte höchste wissenschaftliche Anerkennung zu erhalten, wurde Gaulliaume le Gantie als Beispiel für Astronomenpech in die Fußnoten der astronomischen Fachliteratur verbannt. Eine kleine Wolke machte sein Lebenswerk zunichte.

Auch der Blick auf den Planet Alsen ist seit jeher von Wolken geprägt. Früher einmal quollen sie als dicker weißer Qualm aus bis zu sieben Schloten gleichzeitig und bedeckten die nahegelegene Kleingartenkolonie der Stadt mit einer weißgrauen Patina. Dann kamen die Wolken des Abrisses, wenn unter Ächzen und Krachen Gebäude auf dem Planet Alsen in heftiger Staubaufwirbelung niederfielen.

Inzwischen sind die Wolken kommunalpolitischer Entscheidungen hinzugekommen, die den Blick auf den Planet Alsen zunehmend erschweren und ihn zuweilen nur noch in diffusem Licht erscheinen lassen.

Über die Jahre legte sich der Staub auf den gesamten Planeten und für den ober- flächlichen Betrachter blieb nur ein interstellarer städtebaulicher Missstand, der beseitigt werden muss. Planet Alsen, ein Schandfleck in unserem Sonnensystem, ein Schandfleck im Kosmos, ein Schandfleck für die Kreisstadt Itzehoe?

Und hier setzt der Verdienst des Fotokünstlers und Astronomen Setus Studt an: Er machte sich auf eine Zeitreise, die in ihrer Dauer in etwa der Indienfahrt des Gaulliaume le Gantie entsprach. Anders aber als der unglückliche Astronom ließ der Sternfahrer Studt sich vom intergalaktischen Staub nicht entmutigen. Vielmehr entdeckte er in Staub, Schutt und Asche den Planet Alsen, für sich aber auch für uns. Es mag beängstigend wirken, wie dieser unwirkliche Planet zu einem Gleichnis fürs Unbewusste wird. Seine fremde Schönheit zieht an . Sie inspiriert, auch unser unbekanntes Ich zu erforschen.

Inmitten von Staub und Zerstörung erschloß er die Golden rooms, Schatzkammern, bedeckt mit goldener Patina der untergehenden Sonne. Diese zauberhafte kosmische Vergoldung offenbart sich in jedem Jahr jeweils für 10 Minuten bei Sonnenuntergang, vorausgesetzt der Abendhimmel ist wolkenfrei. Zufällig bei einer winterlichen Exkursion entdeckt, ließ sich dieses Phänomen aber erst, durch gezielte Vorbereitung und mehrere Anläufe, 5 Jahre später, erfolgreich ablichten.

Wie alles Lebendige, so wandelt sich auch der Planet Alsen. Auf seiner Zeitreise hielt Setus Studt diese Wandlungen fest. So die ständig veränderten Graffiti, die das Gelände inzwischen schon in vielen, sich überlagernden Schichten prägen.

Anerkannte Größen der Graffitisprayer haben auf dem Planet Alsen gearbeitet.

Aber nicht nur das Leben, auch der Tod ist in Bildern gegenwärtig. Auf einer Wand grinst ein Totenschädel- auf einem Graffito hat ein Künstler den deprimierenden Satz geschrieben:“ Live is like a videogame – with no chance to win.”

Aber stimmt das?—Wer mit den Augen des Setus Studt blickt, kann gar nicht Verlierer sein, weil der den Blick für das Wesentliche hat. Das wird in seinen Fotos deutlich. Sie vermitteln einen großartigen Überblick über den Planet Alsen und bringen zugleich kleinste Details akribisch und liebevoll hervor. Studt möchte dem Gerede über das so unerfreuliche Ambiente des alsenschen Geländes eine erfreuliche andere Sicht entgegensetzen, er möchte das zeigen, was ihn berührt.

Was einen Menschen berührt, ist Herzenssache.“Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist den Augen vorborgen“, sagte einmal ein anderer Planeten- reisender.

Setus Studt hat diesen Blick für das Wesentliche. Mit großer Intensität führt er uns dies vor Augen. Seine Kamera gleicht dabei einem sehr lichtstarken Teleskop, etwa dem Hubble-Teleskop, das uns mit höchster Lichtstärke und größter Bildschärfe unbeeinflusst von irdischer Atmosphäre wunderschöne Details des Kosmos betrachten lässt. Und Planet Alsen ist ein Kosmos für sich. Er ist ein Raum außerhalb von uns – in uns.

Oftmals sind es ja nur ganz kleine Details, die uns anrühren. Zum Beispiel das rote Herz auf einem Betonsilo, zu dem nur wenig Tageslicht durchfindet und diesen Raum beseelt.

Auch Bewohner von Planet Alsen sind zu sehen. Maschinenwesen. Zwei von ihnen können in der Ausstellung life bewundert werden. Oder der Vogelmensch mit seiner Aktentasche, die Berühmtheit des Planet Alsen. Von vielen bisher vergeblich gesucht. Er verbirgt sich sonst hinter dichtem Buschwerk, und er kann jetzt auf einem Fotodruck entdeckt werden.

Dem Künstler Setus Studt kommt der Verdienst zu, den oft geschmähten Schandfleck der ehemaligen Zementfabrik als inspirierende Kulturlandschaft zu präsentieren. Es ist eine Zeitreise über 15 Jahre, in die wir mit hineingenommen sind. Und wie auch Raum und Zeit nicht statisch sind, sondern vielmehr stetig wandeln, so ist auch die Ausstellung nicht statisch. Etwa alle 2 Monate wird über einen Zeitraum von einem dreiviertel Jahr etwas anderes zu sehen sein. Es lohnt also, sich hier einzufinden, um der Entwicklung des Planet Alsen beizuwohnen.

So, wie Setus Studt in den vergangenen Jahren Planet Alsen immer wieder neu entdeckte, und, solange es ihn noch geben wird, weiter entdecken wird, soll auch der Besucher durch die Ausstellung reisen und unbekanntes Terrain erkunden. Die Fülle der Eindrücke sind überwältigend, so dass es mit dem einmaligen Eindruck nicht getan ist. Sehr hilfreich für die Beobachtung des Planet Alsen ist auch sein sehr gelungener Internetauftritt, den Setus Studt gemeinsam mit Kai Hebbeln und Harald Meyenburg unter www.planet-alsen.de iniziiert hat.

Sie können das Angebot nutzen und ein Stück des Planet Alsen gerahmt oder unge- rahmt mitnehmen, nach Hause oder ins Büro. Als seinerzeit die Apollo-Mission erstmals Mondgestein auf die Erde brachte, war dies heißbegehrt und wertvoll.

Zum Schluss noch als Information: Die nächsten beiden Venuspassagen finden am 08.Juni 2004 und am 05. Juni 2012 statt. Diese beiden Himmelsereignisse sollten Sie sich unbedingt anschauen, wenngleich die Entfernung Erde/Sonne inzwischen bekannt ist. Bis dahin können Sie die Zeit jedoch nutzten, sich intensiv mit dem Planet Alsen zu befassen, der eben so weit von der Sonne entfernt ist, wie unsere Mutter Erde. Rüdiger Blaschke 2001