Oleron
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Wand-lungen kann nur der erfahren, der einem sich wandelnden Gegenstand mehrfach Aufmerksamkeit widmet. Aufmerksamkeit widmen wir Gegenständen, die Bedeutung für uns haben.

Setus Studt hat - zusammen mit seiner Frau - seine Aufmerksamkeit über mehrere Jahre einer auf den ersten Blick unspektakulären Insel an der französischen Atlantikküste gewidmet, der Ile d'Oléron. Sie ist scheinbar so unspektakulär, dass meine Familie und ich sie vor Jahren nach einer kurzen Rundfahrt schnell wieder verlassen hatten.

Ganz anders dieses Jahr: Setus Studt hatte mir diese Bilder vor meiner diesjährigen Sommerreise gezeigt: eine 7,2 Meter lange Farbenpracht, deren Schönheit mich derart angesprochen hat, dass ich dieses Jahr spontan beschlossen habe, einen zweiten Versuch mit dieser Insel zu wagen.

Setus Studt hat mit seinen Bildern einem Gegenstand Bedeutung in meiner Wahrnehmung verliehen. Er hat das armselige, morbide, unperfekte, alltägliche - ja etwas, was unserer Vorstellung von Behausung in jeder Hinsicht widerspricht - nämlich die Wände von Austernfischer-Hütten auf der Ile d'Oléron - zum Sujet einer großartigen Bilderserie gewandelt.

Ja: gewandelt! Setus Studt hat seiner Ausstellung den Titel "Wand-lungen" gegeben. Mir ist als erstes aufgefallen welche Wandlung das Objekt "Wand" in meiner Wahrnehmung erfahren hat: Zuerst habe ich ein Objekt, nämlich ein Bild erlebt, das bestimmte Gegenstände nutzt, um einen künstlerischen Wert zu schaffen. Es steht als Objekt für sich allein. Es besitzt als Wert die Konzentration auf die Schönheit der Formen und eine eindrucksvolle Farbenpracht. Später dann, als ich selber vor den Wänden stand, die hier abgebildet sind, war das Objekt meiner Wahrnehmung nicht mehr ein Bild sondern etwas ganz anderes, nämlich ein reales Objekt - will heißen "Hütten von Austernfischern" - eingebettet in deren spezifisches Umfeld. War das Objekt zuvor das Kunstwerk, so wurde jetzt der Gegenstand des Kunstwerks zum Objekt in der Betrachtung. Das führt zu ganz anderen Gedanken als die Betrachtung seines Abbildes, nämlich zur Reflektion über die Lebensweisen der Menschen in diesen Hütten, über ihre Arbeit - und letztlich auch zu den Wand-lungen, denen ihr Leben und ihre Arbeit unterliegt. Diese sind den Bildern meines Erachtens anzusehen, obwohl keine Menschen darauf abgebildet sind. Aber ich spüre sie hinter den Wand-lungen. Eben diese Wand-lungen haben Studt besonders beeindruckt und nachdenklich gemacht - diese meist kleinen Wand-lungen der einzelnen Fischerhütte, die sich zeitlich parallel zu den Wand-lungen in ihm selbst und seinem Umfeld vollzogen haben. Da vergeht ein Jahr und statt zwei stehen jetzt drei Körbe mit Austernschalen vor der Hütte - das war die ganze Wand-lungen dort. Was - so fragt er sich - hat sich in diesem Jahr bei mir gewandelt? Ist es mehr oder wirklich anderes als die Wand-lung der Zahl der Körbe vor der Fischerhütte oder der Tünche aus restlicher Bootsfarbe, mit der die Hütte eine Wand-lung erfahren hat?

Und so kann die Beobachtung von Wand-lungen der Hütten unversehens zum Sinnieren darüber anregen, ob all die Anstrengungen und Mühen, die wir im vergangenen Jahr unternommen haben, die Hoffnungen, Befürchtungen, Freuden und Sorgen, die uns betroffen gemacht haben, ob diese am Ende wirklich mehr an Wand-lungen in uns bewirkt haben, als jene, die wir auf und vor den Wänden der Hütten auf der Ile d'Oléron registrieren. Vielleicht schöpfen wir daraus auch den Antrieb für zukünftige Wand-lungen im eigenen Dasein, die neue und vielleicht auch mehr Erfüllung in unser Leben bringen, soweit uns das jetzt als sinnvoll erscheint.

Es ist mir noch wichtig zu sagen, dass ich an Setus Studt bewundere, wie er durch seine Kunst eine an sich morbide und dem allmählichen Untergang geweihte Welt in ein faszinieren-des Licht, in eine entrückende Stimmung versetzt, wie er uns zeigt, wie viel Schönheit es im Vorhandenen, im Gewohnten, im Kleinen, im Alltäglichen zu entdecken gibt. Du hast uns so ein herausragendes Erlebnis ermöglicht.

Vielen Dank dafür, lieber Setus!

Dr. rer.nat. Manfred Oetting, Diplom-Psychologe

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